Ist das systemrelevant oder kann das weg?

Guten Morgen. Dinge, an denen sich nichts geändert hat: Kaffee im Bett. (Ja, immer noch Bohnenkaffee...). Vor lauter Langeweile bemale ich meine Kaffeetassen mit misanthropischen Sprüchen. Nebenbei bastelt hier jede:r an einer Platte, mit der wir uns durch die Krise singen. Es tut so gut, beschäftigt zu sein. 
Wenn die Flucht in Geselligkeit kaum noch möglich ist, muss man ja irgendwohin mit all dem, auf was man (bei sich selbst) zurückfällt. Für die Zeit, wo wir an Aufnahmen schrauben und uns dann von Zimmer zu Zimmer mit den Ergebnissen überraschen, kann ich alles virale vergessen. 

Dazwischen fallen mir Fragen von der Decke auf den Kopf: wie lange wird es dauern, bis ich wieder ein Konzert spielen kann? Welche meiner Lieblingsläden wird es dann nicht mehr geben? Ehrlich gesagt, haben mir Angelas Worte da nicht wirklich weitergeholfen. Naja es gibt jetzt wichtigere Dinge als Kultur. Ja? Mmh. Ich stelle dieser Tage fest, wie systemrelevant für mich Kultur doch ist. Klar, ich sterbe nicht ohne, aber so ein richtiges Leben stelle ich mir irgendwie anders vor. Geht das nur mir so? Irgendwie mag ich das nicht recht glauben. 

Wer entscheidet im Zweifelsfall, was für uns alle relevant und gar lebensnotwendig ist? Gibt es diesen suggerierten Konsens darüber überhaupt? Klar. Wir müssen nicht über Impfstoffe und Beatmungsgeräte streiten. Aber an den Grenzen dessen, was gerade noch systemrelevant ist oder eben auch schon gerade nicht mehr, gibt es für mich Diskussionsbedarf. 
Für mein System ist Kaffee enorm relevant, für wen anders mag das etwas sein, "worauf wir für ein paar Wochen verzichten können". Ich glaube es gibt Grenzen dessen, was es zu vergemeinschaften gibt. Für mich ist das nichts als eine imagined community, die politisch aktuell entworfen wird, wenn Herr Spahn meint zu wissen, was für mich relevant ist. 

Ich merke, dass ich Grenzen für Politik ziehen möchte, dafür wieweit der Staat in mein Persönlichstes eindringen darf. Und ich finde daran formulieren sich derzeit viele spannende Fragen, die unserer Demokratie in der Krise gut tun können: wie wollen wir zusammen leben? Welche Werte sind tatsächlich teilbar und wo trennen wir uns? Bemerkenswert still ist es in dieser Debatte um die rechten Kolleg:innen. Der Virus scheint nicht auf die Lunge, sondern auch gewisse Gesinnungen zu schlagen. Wohl bekomm's!

Ironischerweise ist mein Nebenjob als Putzfrau gerade sehr systemrelevant. Und so verdrehen sich die Dinge in der Krise in ihr Gegenteil. Irgendwo auch spannend. Bitte unterschreibt alle die Petition für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Und jetzt: Kaffee ans Bett, Kinn über Wasser halten und Tag für Tag denken und nicht bis nächsten Herbst. 


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