Die Gretchen-Frage für Alleinerziehende

...oder vom Risiko, das ich meinem Kind aussetzen darf, wenn ich möchte.


Wow! Das erste Mal in zehn Jahren Alleinerziehendsein hab ich ein Privileg qua meines Status. Ist das geil! ich darf mein Kind in die Schule schicken, wenn ich möchte. Das erste Mal erkennt der Staat an, dass ich überlastet sein könnte! Ich? Ach. Vielleicht macht sich der Staat auch einfach mittlerweile Sorgen um's Kind, weil sein Bild von Alleinerziehenden eh desaströs ist. Sei es drum! Ich bin privilegiert und ich möchte, dass Ihr das wahrnehmt. 

Fast würde ich mir eine Flasche Sekt aufmachen am ersten Tag, wo das Kind seit einem gefühlten halben Jahr vormittags mal nicht zuhause ist, aber dann kommt der Haken: bevor ich das Kind zur Notbetreuung anmelden kann, muss ich mit mir selbst ins Gericht gehen und klären, ob das denn wirklich sein muss. 

Denn das Risiko für eine eventuelle Infektion mit dem unbekannten Killer-Virus aus China, das jetzt sogar die Hirn-Schranke überschritten haben soll und von dem "wir alle" noch immer nicht genug wissen, das Risiko trage ich. Warum? Weil ich es eben kann als Alleinerziehende. Ich kann ja auch zehn Jahre 24/7 verantwortlich für ein Kind sein und von einer halben Stelle Klassenfahrten bezahlen. 

Ich soll jetzt allen Ernstes entscheiden, ob meine Bedürfnis nach Alleinsein, nach Zeit für mich und die Dinge, die ich erledigen muss über der potentiellen Gesundheitsgefährdung des Kindes steht. Easy. Kenn ich schon. Das ist dieselbe Frage, wie wenn Du Dein Baby übers Wochenende zu den Großeltern schickst, für ganze Tage in der Kita anmeldest oder später einen Hortplatz bis 17 Uhr beanspruchst. Die Reaktionen darauf sind abwechselnd vorwurfsvolles Erstaunen und Mitleid für "meine Situation" (und in Klammern auch immer für das Kind). 

Tatsächlich werde ich mein erstes Privileg seit zehn Jahren Alleinerziehung nicht in Anspruch nehmen, weil ich Angst habe um die Gesundheit des Kindes und keinen Bock, mich wieder und wieder erklären zu müssen, warum das notwendig war. 
Schließlich hätte ich mir das alles vorher überlegen können. Vor ziemlich genau 11 Jahren. 

Ich habe einfach keinen Bock mehr, Kinderlosen und Doppelverdiener-Doppelhaushälften-Eltern zu erklären, warum ich Bock auf Zeit für mich habe, auf Nicht-Angesprochen-und Gefragt-werden, auf meine ganz eigenen Gedanken für Stunden am Stück, auf all die anderen Teile meiner Persönlichkeit, die schon lange da waren bevor ich Mutter wurde (WAS ICH MIR HÄTTE ÜBERLEGEN KÖNNEN! JA!!). 

Ich habe keinen Bock mehr auf die Schublade der Alleinerziehenden und Feministin, die das eigene Kind als Belastung sieht und Mutterschaft bereut. Ich bereue nichts außer das Fehlen staatlicher Unterstützung für Alleinerziehende. 

Und deshalb schreibe ich das: weil ich es für einen ganz guten Anfang halte, jetzt mal zu sagen, ok, die Alleinerziehenden sollten vielleicht Zugang zu Notgruppen haben. Auch wenn ich das nicht in Anspruch nehme, möchte ich das anerkennen. Mehr davon. Zum  Beispiel dieses Corona Elterngeld oder überhaupt mal drüber sprechen bei allen Maßnahmen wie beschissen das gerade für Familien läuft. 



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