Wann es gut ist, mit jemandem über ein Problem zu reden

Mit jemandem über schwierige Dinge reden, ist wie einen Acker umgraben: es gibt einen richtigen Zeitpunkt dafür. Wenn man zu früh mit dem Spaten in die Erde sticht, wenn es draußen noch kalt und der Boden verschlämmt ist, wiegt jeder Spatenstich so schwer auf der Schippe, dass es zäh geht und man zehn Mal mehr Arbeit hat als wenn man zur rechten Zeit beginnt, umzugraben. Wann der richtige Zeitpunkt ist, findet man durch Beobachtung heraus.
Wenn die Erde etwas abtrocknet, fängt sie an sich zu öffnen. Stellen wir uns einmal vor der Regen ist das, was mein Gegenüber belastet. So wie die Erde schwer wird vom Regen werden alle Alltäglichkeiten, ja sogar die einfache Existenz durch den immer wiederkehrenden Regen erschwert. So lange es noch auf jemand hereinprasselt ist ein schlechter Zeitpunkt für Gespräche. Wenn Menschen knietief im Problem stecken, fehlt ihnen die Distanz für eine Lösungssuche.

Ich habe 10 Jahre lange Menschen in diversen Beratungsstellen bei der Lösung persönlicher Krisen unterstützt. Bei einigen habe ich mich zäh wie Kaugummi mit viel Einsatz abgearbeitet ohne oder mit schleppendem Erfolg. Genau das habe ich dabei gelernt: es bedarf nicht nur der richtigen Werkzeuge, sondern auch des richtigen Zeitpunkts. Bevor wir Problematisches bearbeitet können, muss mein Gegenüber erstmal aus dem gröbsten Schlamm hinausgetreten sein. Sonst versuche ich  mit meinem Spaten ein Loch um ihn zu graben, was zugleich wieder verschlämmt und eingesogen wird. Die Zeit tut ihre eigenen Wunder. Wir können richtige Zeitpunkte nicht herbeiführen so wie Tomaten nicht im Dezember wachsen.

Es ist wichtig, sich von allen Allmachtsvorstellungen des Helfersyndroms zu befreien: "Wenn ich nur das Richtige sage/tue/ in die Wege leite, geht es ihm oder ihr besser." Falsch. Eine Lösung zu finden braucht mehr als die richtigen Menschen und Werkzeuge. Wann ist also nun der richtige Zeitpunkt, etwas anzusprechen, von dem ich denke, dass es mein Gegenüber belastet? Ich glaube die Antwort ist: kurz nach dem Regen. Wenn wir uns alle noch gut daran erinnern können, wie es war knietief im Schlamm einzusingen, aber gleichzeitig die Sonne etwas die oberen Schichten verwöhnt hat, so dass wir ausatmen konnten. Ein wenig Wärme tanken.

Oft gibt es dann vom Betroffenen eine Einladung zum Gespräch. Wir tendieren dazu, nachbesprechen zu wollen, was uns geschmerzt hat. Diese Einladung kann ein Halbsatz sein. Sie kann ein: "Das war schon ganz schön heftig" sein. Wichtig: nicht Du entscheidest, wann es Zeit ist über das Problem einer anderen Person zu reden. So wie Du nicht entscheidest, wann das Wetter dreht und es im Garten so richtig losgehen kann. Manche Jahre ist das im April, manche Jahre erst Ende Mai. Wenn Du dann umgräbst, zum goldenen Zeitpunkt, geht alles leicht, eine Schippe nach der nächsten.

In der Beratung reden wir von verschiedenen Phasen: in der Krise geht es darum zu stabilisieren, niemand braucht, wenn er knieftief im Problem versinkt, Lösungsvorschläge. Erst wenn es einigermaßen stabil läuft, kann bearbeitet laufen. Wenn das Wetter stimmt, greift das richtige Werkzeug.

Viele tendieren dazu, sich auf einem Acker abzuarbeiten, der noch nicht bereit ist. Meist aus guten Intentionen, sie wollen helfen. Mir hat mal jemand gesagt: jedem gehört sein Schmerz. Es ist bis heute ein Satz, der mich davor bewahrt, zu schnell aus einem Helfersyndrom heraus, Rettungsboote aussenden zu wollen. Ani diFranco singt in ihrem Song happy all the time: 

And I know pain is a teacher
To be welcomed and not feared
Alas pain is your ally
So embrace it while it's here
It's here to open up your eyes
Here to make the way clear

(Und ich weiß Schmerz ist ein Lehrer,
den Du willkommen heißen und nicht fürchten sollst.
Denn Schmerz ist Dein Alliierter,
also umarme ihn so lange er da ist.
Er ist da, um Dir die Augen zu öffnen,
um Dir den Weg zu verdeutlichen.)

Jede und jeder hat ein Anrecht, auf seinen Schmerz. Da, wo es weh tut, haben wir einen Acker umzugraben, da gibt es Wurzeln von Unkraut, die tief unter der Oberfläche Schlimmes vorhaben, wenn wir sie nicht daran hindern. Aber auch der Winteracker, das Versinken im Schlamm, die Hilflosigkeit sind Teile des Heilungsprozesses. Wem der Schmerz erspart bleibt, weil einer um ihn emsig immer wieder die Erde freilegt, damit er bloß nicht einsinken darf, der wird keine eigene Motivation und Kraft entwickeln, die es braucht, um Lösungen zu erarbeiten. Denn auch zum goldenen Zeitpunkt kostet Veränderung Kraft, gräbt es sich nicht ohne Schweiß um. Also zieh Dich zurück und warte sorgfältig beobachtend, wann ein guter Zeitpunkt für "Wir müssen reden" gekommen ist. Und vielleicht sagst Du besser: "Du weißt, wir können reden."Eine Erinnerung, ein Angebot... Kein Spatenstich ins Herz.

Arbeite nie härter an den Problemen anderer Menschen als sie selbst. Jedem gehört sein Schmerz.



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